Jede Zeit hat ihre Modeworte. Diversity, Equity und Inclusion (Diversität, Chancengleichheit und Inklusion) oder kurz DC&I stehen gegenwärtig hoch im Kurs. Als Unternehmer:innen fühlen wir einen gewissen Druck DC&I-Maßnahmen zu ergreifen, haben womöglich ein eigenes Department, aber verstehen wir eigentlich was damit gemeint ist und wozu das Ganze gut sein soll? Ist es mehr als ein gehypter Trend und bringen in Organisationen und Unternehmen gesetzte DC&I-Maßnahmen tatsächlich auch einen greifbaren Nutzen, der über bloße Imagepolitur hinausgeht? Lassen Sie uns einen frischen Blick auf DC&I werfen.
Bis vor Kurzem war die übliche Reaktion „Wow! Ihr Unternehmen hat ein Diversitäts- und Inklusionsprogramm?“. Mittlerweile hat sich das zu einem „Was? Ihr Unternehmen hat KEIN Diversitäts- und Inklusionsprogramm?“ gewandelt.
Sabine Gromer, Gründerin von MagnoliaTree
Was versteht man eigentlich unter DC&I?
Wir alle verwenden in unserem alltäglichen Sprachgebrauch immer wieder Worte, deren eigentliche Definition wir nicht (genau) kennen. Darum lassen Sie uns die Begriffe erklären.
Di|ver|si|tät, die; -, -en, eng. diversity; Verschiedenheit, Vielfältigkeit. Diversität bezieht sich unter anderem auf die wirtschaftliche, kulturelle und soziale Vielfalt in menschlichen Gesellschaften. Im wirtschaftlichen Kontext verstehen wir darunter die Vielfältigkeit und Verschiedenheit in Teams. Diversity Management setzt auf Erfolgssteigerung über bewusst divers zusammengestellte Teams.
Chan|cen|gleich|heit, die; -, en, eng. equity; ein Zustand, in dem allen Mitgliedern eines Teams unabhängig ihrer Zugehörigkeit die gleiche Behandlung und die gleichen Möglichkeiten geboten werden. Um Chancengleichheit zu erreichen, müssen strukturelle Beschränkungen vermindert und im Idealfall völlig eliminiert werden. Chancengleichheit lässt Individuen mit all ihren Fähigkeiten und Potenzialen wachsen. Aus unserer Erfahrung ist wirkliche Chancengleichheit das am schwersten zu erreichende Ziel. Daher macht es Sinn Chancengleichheit als Weg und nicht als Ziel zu verstehen.
In|klu|sion, die; -, en, eng. inclusion; wörtlich übersetzt Zugehörigkeit, ist das Gegenteil von Ausgrenzung und fordert die Schaffung einer Arbeitsumgebung, in der sich alle Mitglieder willkommen fühlen und jede Facette ihrer Identität, insbesondere ihre Unterschiede, geschätzt wird. Inklusion ist, wenn man einfach man selbst sein kann.
Inzwischen ist es üblich Diversität, Chancengleichheit und Inklusion in einem Atemzug zu nennen, während wir lange Zeit nur von Diversität und später von Diversität und Inklusion sprachen. Diversität, Inklusion und Chancengleichheit stehen in engem Zusammenhang, ihre Inhalte überschneiden sich, dennoch sind sie unterschiedliche Konzepte, die nicht ein und das Gleiche meinen.
Bevor Sie DC&I-Maßnahmen setzen, müssen Sie die Unterschiede und ihre Überschneidungen verstehen. Außerdem macht es Sinn, Ihre eigene Definition von DC&I unter Berücksichtigung Ihrer individuellen Unternehmenskultur zu finden.
Reicht es nicht einfach eine Frau in den Vorstand zu setzen und/oder Mitarbeiter:innen mit Migrationshintergrund einzustellen?
Viele Unternehmen sehen in DC&I-Maßnahmen eine gute Chance, ihr Image aufzupolieren. Eine Frau in den Vorstand zu setzen oder einen Menschen mit Migrationshintergrund in ein Team zu bringen mögen nach außen hin als löbliche Aktionen gesehen werden, aber – glauben Sie uns – ein derart oberflächlicher Ansatz ändert nicht nur wenig, er kann langfristig sogar schädlicher sein als gar keine DC&I-Maßnahmen zu setzen. Denn nur wenn eine DC&I-Strategie auch verstanden, verinnerlicht und von allen Beteiligten getragen wird, wird diese auch einen nachhaltigen Nutzen bringen. Eine Quotenfrau oder ein Quotenausländer bringen reichlich wenig. Das System wird sie überstimmen und schlucken. Um in einem unveränderten System bestehen zu können, werden Sie sich assimilieren und damit ihr Potenzial nicht voll entfalten können.
Eine Quotenfrau ist keine DC&I-Maßnahme.
Wieso Sie DC&I-Maßnahmen NICHT setzen sollten, wenn Sie sie nicht ernst nehmen?
Das hat vor allem mit Vertrauen zu tun. Aus den falschen Gründen gesetzte Maßnahmen brechen Vertrauen; in das Unternehmen und die Führung. Und sie führen zur Mitarbeiter:innenabwanderung, weil sie auf die Belegschaft ähnlich traumatisierend wie Reorganisations- und Umstrukturierungsmaßnahmen wirken. Auch aus rein finanzieller Sicht, machen derartige Scheinmaßnahmen keinen Sinn, weil sie keinen oder im schlimmsten Fall einen negativen Effekt haben, gleichzeitig aber kostenaufwändig sind.
Denken Sie, in Ihrer Organisation gibt es keine Diskriminierung?
Viele Menschen glauben, sie gehen vorurteilsfrei durch ihr Leben, stehen objektiv über den Dingen und diskriminieren weder bewusst noch unbewusst. Aber als Menschen denken wir einfach gern in Schubladen, weil das automatische Einordnen von Menschen und Situationen einen großen (evolutionären) Nutzen hat: Es vereinfacht unser Denken und spart uns damit viel Energie. Wir haben Vorurteile, nur sind wir uns dieser meist nicht bewusst. Strukturelle und unbewusste Vorurteile sind Einstellungen und Überzeugungen, die außerhalb unseres Bewusstseins liegen. Wir unterscheiden zwischen strukturellen und unbewussten Vorurteilen. Strukturelle Vorurteile sind kollektive, systemdefinierte Vorurteile, die meist nicht hinterfragt werden. Ein Beispiel sind Tests in der Auto-Branche mit ausschließlich männlichen Dummies. Mit dem Ergebnis, dass Frauen eine um 47% höhere Wahrscheinlichkeit haben bei einem Unfall schwer verletzt zu werden und eine um 17% höhere Wahrscheinlichkeit in einem Unfall zu sterben als Männer. Im Gegensatz dazu verstehen wir unter unbewussten Vorurteilen individuelle, persönliche Vorurteile, die wir uns im Lauf unseres Lebens aneignen, quasi der Fußabdruck von struktureller Bias auf ein Individuum. Selbst unsere Technik – Schlagwort Künstliche Intelligenz – agiert nicht wert- und vorurteilsfrei. Lesen Sie dazu auch unseren Artikel zum Film Coded Bias.
Wenn Sie noch immer der Meinung sind, dass Sie völlig unbiased sind, empfehlen wir Ihnen den Implicit Test der Harvard University zu machen: Link.
Wir garantieren Ihnen, auch Sie haben Vorurteile.
Ein Film zum Thema: PURL
Wenn eine DC&I-Strategie nicht zur bloßen Imagepolitur sein soll, wozu dann überhaupt? Was bringen mir DC&I-Maßnahmen?
Wir verstehen. Sie brauchen Zahlen, Fakten, Daten und vor allem eines: einen Nutzen für Ihr Unternehmen. Sie sind kein wohltätiger Verein und es ist nicht Ihre Aufgabe die Welt zu verändern. Keine Sorge, DC&I-Strategien korrelieren durchaus mit unternehmerischem Nutzen. In den vergangenen Jahren wurden unzählige glaubhafte Studien durchgeführt, die mit stolzen Zahlen aufwarten können.
Mehr noch:
- DC&I-Maßnahmen senken Fehlzeiten unter den Mitarbeiter:innen um 10%.[1]
- Unternehmen mit einem höheren Maß an Geschlechtervielfalt und einer Personalpolitik und -praxis, die sich auf Geschlechtervielfalt konzentriert, sind mit einer geringeren Mitarbeiterfluktuation verbunden.[2]
- Organisationen mit integrativen Unternehmenskulturen und -praktiken haben eine um 57,8 % höhere Wahrscheinlichkeit, ihren Ruf zu verbessern.[3]
- Verbraucher:innen sind eher bereit, ein Produkt zu kaufen oder einen Kauf in Betracht zu ziehen, nachdem sie eine Werbung gesehen haben, die als vielfältig oder integrativ wahrgenommen wird.[4]
- Unternehmen im obersten Quartil der ethnisch-kulturellen Vielfalt in Führungsteams haben eine um 33% höhere Wahrscheinlichkeit, eine branchenführende Rentabilität zu erzielen. [5]
- Unternehmen mit den ethnisch/kulturell vielfältigsten Vorständen weltweit haben eine um 43% höhere Wahrscheinlichkeit, höhere Gewinne zu erzielen.[6]
- Ein Zugehörigkeitsgefühl am Arbeitsplatz führt zu einer Verbesserung der Leistung um 56 % und einer Verringerung des Risikos für Mitarbeiterfluktuation um 50 % führt.[7]
- 67% der Arbeitnehmer:innen achten bei der Stellensuche auf Vielfalt
Es liegt also auf der Hand. Diversität, Chancengleichheit und Inklusion sind weitaus mehr als bloße Modeworte. Sie können ein starkes Tool und eine unglaubliche Chance sein, Ihr Unternehmen erfolgreich durch eine neue Zeit zu führen.
Lesen Sie den
Artikel als PDF
[1] Quelle: Juliet Bourke and Andrea Espedido, “Why Inclusive Leaders Are Good for Organizations, and How to Become One,” Harvard Business Review, March 29, 2019.
[2] Quelle: Cara C. Maurer and Israr Qureshi, “Not Just Good for Her: A Temporal Analysis of the Dynamic Relationship Between Representation of Women and Collective Employee Turnover,” Organization Studies (2019).
[3] Quelle: International Labour Organization, Women in Business and Management: The Business Case for Change (2019): p. 21.
[4] Quelle: Shelley Zalis, “Inclusive Ads Are Affecting Consumer Behavior, According to New Research,” Think with Google, November 2019.
[5] Quelle: https://www.mckinsey.com/capabilities/people-and-organizational-performance/our-insights/delivering-through-diversity
[6] Quelle: https://www.mckinsey.com/de/news/presse/neue-studie-belegt-zusammenhang-zwischen-diversitat-und-geschaftserfolg
[7] Quelle: https://peakon.com/de/blog/diversitaet-chancengerechtigkeit-und-inklusion/was-ist-diversitaet-inklusion-und-chancengerechtigkeit-am-arbeitsplatz/ mit Hinweis auf Forrester: https://go.forrester.com