Wenn wir Erfolg nicht wahrhaben wollen
Gekürzte Version
„Vor ein paar Jahren hatte ich das Glück zu einer Versammlung großartiger Menschen eingeladen zu sein: Künstler:innen und Wissenschaftler:innen, Schriftsteller:innen und Entdecker:innen sind dort zusammen gekommen. Ich fühlte mich nicht zugehörig und sorgte mich, sie würden jeden Moment erkennen, dass ich eigentlich nicht dazu gehörte.
Am zweiten oder dritten Abend dort begann ich – während einer musikalischen Einlage – mit einem netten älteren Herrn über dieses und jenes zu plaudern. Wir hatten beide denselben Vornamen. Irgendwann blickte er über die versammelte Menge und sagte: ‚Ich sehe alle diese besonderen Menschen und frage mich die ganze Zeit, was ich eigentlich hier mache. Sie alle haben unglaubliche Dinge getan. Ich bin nur hier, weil ich hierhergeschickt wurde.‘
Ich entgegnete: ‘Ja, aber Sie waren doch der erste Mann am Mond. Aus meiner Sicht ist das doch etwas Unglaubliches.’
Ab diesem Moment fühlte ich mich besser. Wenn sich Neil Armstrong wie ein Hochstapler fühlte, ging es vielleicht allen hier so. Vielleicht waren hier gar keine Erwachsenen, nur Menschen, die hart gearbeitet und Glück hatten und leicht überfordert waren. Wir alle machten unsere Jobs so gut wir konnten. “
An diesem Punkt sollten wir eine klare und wichtige Unterscheidung zwischen dem Hochstapler Syndrom und Hochstapler-Gefühlen machen. Zu oft wird in Artikeln und Diskursen vom Hochstapler Syndrom gesprochen, auch wenn es thematisch um Gefühle des Hochstaplertums (kurz FOI von „Feelings of Imposterism“) geht. Lassen Sie uns daher hier präzise sein:
Das Hochstapler Syndrom ist eine ernsthafte, psychische Kondition, die von erfahrenen Psycholog:innen behandelt werden sollte. Menschen mit dem Hochstapler Syndrom leiden unter dem chronischen Gefühl intellektuelle Betrüger zu sein, das jedes Erfolgserlebnis oder jede Bestätigung von aussen überschreibt (Gill Corkindale, 2008). Betroffene sind häufig Angehörige der akademischen und wirtschaftlichen Elite. Man geht davon aus, dass zwischen 25-30% hochbegabter Menschen vom Hochstapler Syndrom betroffen sind. Wenn Sie nach der Lektüre dieses Artikels glauben, dass auch Sie darunter leiden, raten wir Ihnen zu professioneller Hilfe.
Hochstapler-Gefühle (FOI) sind eine abgeschwächte Form des Hochstapler Syndroms, die allerdings auch wesentlich weiter verbreitet sind. Eine Studie aus dem Jahr 2011 hat festgestellt, dass nahezu 70% aller Erwachsenen zumindest an einem Punkt in ihrem Leben davon betroffen sind (Sakulku & Alexander, 2011). Somit ist es wenig überraschend, dass viele unserer Klient:innen, die alle Entscheidungsträger:innen und aus dem Senior Executive Level sind, ein Problem damit haben ihren Erfolg zu verinnerlichen. Weitaus überraschender dahingegen ist die Tatsache, dass kaum jemand von ihnen je etwas von FOI, seinen Auswirkungen und Wegen, wie man damit umgehen sollte, gehört hat. In diesem Artikel konzentrieren wir uns auf FOI und darauf, wie es uns besonders dann betrifft, wenn wir uns mit neuen Rollen und Aufgaben konfrontiert sehen und wir uns in Krisen befinden.
Was ist das Hochstapler Syndrom genau?
Obwohl sich viele der ersten Studien über das Hochstapler Syndroms vorrangig auf Frauen konzentrierten, wissen wir aus neueren Studien, dass diese Kondition Männer wie Frauen gleichermaßen betrifft. Es besteht ein enger Konnex mit Perfektionismus. Wie bereits erwähnt leiden rund 25-30% aller hochbegabten Menschen am Hochstapler Syndrom, während rund 70% aller Menschen von Gefühlen des Hochstaplertums zumindest an einem Punkt in ihrem Leben betroffen sind (Sakulku & Alexander, 2011). Somit ist FOI alles andere etwas Seltenes. Wer davon betroffen ist, muss sich nicht alleine und isoliert fühlen.
FOI betrifft besonders Menschen, die sich mit neuen Aufgaben und Herausforderungen konfrontiert sehen. Gerade jetzt in Zeiten der globalen Pandemie sehen sich viele Menschen davon betroffen in völlig neuen und herausfordernden Strukturen arbeiten zu müssen. Kets de Vries (2005) meint, “Bis zu einem gewissen Grad sind wir alle Hochstapler. Wir spielen Rollen auf der großen Bühne des Lebens. Das öffentlich präsentierte Ich unterscheidet vom privaten Ich, das nur unsere engsten Mitmenschen kennen. Wir passen die Bilder unseres Ichs an die Umstände an. Das Spielen mit Fassaden ist ein Teil des Pakets unseres menschlichen Daseins.” Das Hochstapeln ist so gesehen ein natürlicher Teil unseres Lebens und sollte auch so gesehen werden. Gefühle der Unzulänglichkeit, die wir besonders dann verspüren, wenn wir neue Rollen übernehmen oder uns neuen Herausforderungen stellen, können überwältigend sein, sind aber zumeist vorübergehend. Zum Glück gibt es mehrere von Psycholog:innen und anderen Professionist:innen entwickelte und effiziente Methoden, die uns dabei helfen derartigen Gefühlen erfolgreich entgegenzusteuern.
Die unbeabsichtigten Folgen des Hochstapler Syndroms und von Hochstapler-Gefühlen
Die psychischen Folgen des Hochstapler Syndroms sollten nicht unterschätzt werden. Sie sind schwerer als man auf den ersten schnellen Blick meinen möchte. Obwohl es bislang noch keine vom Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM), das dominierende psychiatrische Klassifikationssystem in den USA, offiziell anerkannte psychische Erkrankung ist, steht es in enger Verbindung mit Angstzuständen, Depressionen und Perfektionismus.
Sowohl das Hochstapler Syndrom als auch Hochstapler-Gefühle haben signifikante Auswirkungen auf die Motivation und Performance am Arbeitsplatz. Menschen, die unter FOI leiden, verinnerlichen eher ein Scheitern als positives Feedback. Sie neigen dazu Erfolge unterzubewerten, während sie Misserfolge überbewerten. Somit führt FOI häufig zu einem Teufelskreis, in dem die/der Betroffene nach übermenschlichem Perfektionismus strebt und dadurch Deadlines überzieht. Derartige Verzögerungen wiederum lösen Bedenken über die Führungsqualitäten der/des Betroffenen aus, was dazu führt, dass sich die/der Hochstapler:in in noch größeren Selbstzweifeln wiederfindet und das Bedürfnis nach Perfektionismus noch weiter nach oben schraubt. Ein teuflischer Mechanismus, der unterbrochen werden muss, um Kollateralschäden zu unterbinden.
Wie man mit Hochstapler-Gefühlen umgehen kann
Hier eine Auflistung von Wegen mit Hochstapler-Gefühlen umzugehen:
- Der erste und mit Sicherheit wichtigste Schritt ist die Erkenntnis, dass man von Hochstapler-Gefühlen betroffen ist. Sobald Sie das erkannt haben, können Sie weitere Schritte setzen.
- Holen Sie sich Hilfe. Es ist vollkommen okay Hilfe in Anspruch zu nehmen. Man muss nicht alles allein händeln. Ein Coach oder ein:e Mentor:in können großartige Wegbereiter:innen sein, die Ihnen dabei helfen durch derartige Gefühlswelten zu navigieren. Ein einfacher, aber effizienter Schritt mit Hochstapler-Gefühlen umzugehen, ist es zu reden. Sprechen Sie mit Ihrem Coach, Ihrer/m Mentor:in, mit Freund:innen, Ihrer Familie und erklären Sie ihnen Ihre Situation. Schon allein es loszuwerden kann viel Druck, der auf Ihnen lastet, und Angstzustände lösen.
- Der nächste Schritt ist die Zu- und Einordnung der Hochstapler-Gefühle. Am besten gemeinsam mit einer/m Berater:in, der/dem Sie vertrauen können. Sehen Sie sich von einer neuen Herausforderung konfrontiert, haben Sie eine neue Arbeitsstelle oder gibt es andere Veränderungen in Ihrem Leben, die diese Gefühle ausgelöst haben? Was ist die Ursache? Sich nutzlos zu fühlen ist nicht das Gleiche, wie nutzlos zu sein. Vergessen Sie das nicht!
- Wenn der Grund für Ihre Gefühle ein Scheitern ist, setzen Sie sich mit dieser Erfahrung intensiv auseinander. Beginnen Sie die Erfahrung als einen Lernprozess zu sehen. Seien Sie großzügig zu sich selbst. Fehler sind menschlich, gerade in einer neuen und herausfordernden Umgebung. Nutzen Sie Ihre Misserfolge als Chance daran zu wachsen.
- Last, but not least: holen Sie sich laufend Feedback und Unterstützung. Versuchen Sie nicht alles allein zu erledigen, besonders wenn Sie in einer neuen Position sind. Das führt nur dazu, dass Sie überfordert und mit Aufgaben überfordert sind, was wiederum Öl ins Feuer gießt und das Gefühl ein:e Hochstapler:in zu sein intensiviert.
Für Menschen in Führungspositionen haben wir einige weitere Tipps zur Implementierung von Programmen, um mit FOI umzugehen:
- Ziehen Sie es in Betracht Programme in Ihr Unternehmen zu integrieren, die FOI adressieren. Sowohl California Technology als auch das MIT haben Programme ins Leben gerufen, um Mythen der Zugehörigkeit zu entlarven und Student:innen dabei zu helfen, Tendenzen des Hochstapler Syndroms zu erkennen. Viele Universitäten offerieren Beratungs-Workshops, die Student:innen dabei helfen ihre Stärken zu erkennen, mit Misserfolgen umzugehen und Perfektionismus und seine Auswirkungen zu verstehen (Cokely, 2013). Ähnliche Programme könnten auch in Ihrem Unternehmen umgesetzt werden.
- Huffstutler und Varnell (2004) ermutigen dazu Peer Group-Programme, Mentoring-Möglichkeiten und eine Identifikation von unternehmerischen Erwartungen zu entwickeln.
- Sie empfehlen auch ein System von Mentor:innen, die neuen und bestehenden Mitarbeiter:innen dabei helfen mit neuen Herausforderungen umzugehen.
- Eine andere Empfehlung ist die Implementierung eines vielfältig strukturierten Feedback-Systems (Cogner & Fulmer, 2004).