Living in a copy: Thames Town

Was Leadership mit dem chinesischen Thames Town zu tun hat

von Augustine Pasin (überarbeitet von Sabine Gromer, übersetzt von Daniela Luschin)

Drei Jahre lang habe ich in der Geisterstadt Thames Town im Shanghaier Distrikt Songjiang gelebt, die nach dem Vorbild einer englischen Stadt im viktorianischem Stil gebaut wurde.


1. Täuschen Sie nichts vor!

Thames Town ist aus gutem Grund eine Geisterstadt. Sie ist praktisch unbewohnbar. Was auf den ersten schnellen Blick wie eine authentische Nachbildung edler viktorianischer Stadthäuser aussehen mag, sind in Wirklichkeit flache Fassaden aus billigstem Baumaterial. Die wenigen Gebäude, die überhaupt noch genutzt werden können, beherbergen Lokale multinationaler Ketten, wie McDonalds, einen Familymart – das japanische Pendant von Minimarts – und einen äußerst deplatziert wirkenden Baskin-Robbins, eine amerikanische Eisdiele, die zu Dunkin’ Donuts gehört.

Was das mit Leadership zu tun hat? Auch viele Führungskräfte haben Fake-Fassaden um sich aufgebaut, während ihre authentische Führungspersönlichkeit unbewohnt, also leer ist. Sie sind, was sie zu sein glauben. Doch Fassaden wie diese sind schnell zu durchschauen. Die Illustion bröckelt. Man tut sich damit nichts Gutes, dauerhaftes Vortäuschen schadet einem auf kurz oder lang mental, führt zu Misstrauen im Umfeld und Demotivation unter der Belegschaft.
Anstatt vorzugeben etwas zu sein, das Sie nicht sind – und gleichzeitig auch noch 5 Milliarden Yuan beim Fenster rauszuwerfen – spielen Sie lieber Ihre Stärken aus!


2. Der Unterschied zwischen Leihen und Kopieren

Thames Town ist ein schamloser Versuch den einheimischen Tourismus mithilfe eines billigen Pappkarton-Disneyworlds der britischen Architektur anzukurbeln. Ein wenig Respekt muss man den Architekten für ihre mutige Unverfrorenheit schon zollen, dennoch, Thames Town ist für mich nichts anderes als das Abschreiben vom Sitznachbarn während eines schriftlichen Examens mit dem Resultat trotzdem durchzufallen.

Eines möchte ich klarstellen, es ist nicht prinzipiell falsch gute Ideen zu leihen, sich von großen Erfolgsstories inspirieren zu lassen. Aber seien wir uns ehrlich, die exakte gleiche Formel funktioniert – mit Ausnahme der Popmusik – selten zweimal. Wenn Sie ein Unternehmen gründen, an einem Kunstwerk arbeiten oder eine wissenschaftliche Arbeit schreiben, ist es wichtig, Ihre Strategie an Ihre eigenen Ziele, Ihr Publikum und Ihre Variablen anzupassen. Es ist die Einzigartikeit, nicht eine laue Kopie, die andere inspiriert. Übernehmen Sie ruhig Modelle, Umfragen, Führungstile, aber vergessen Sie dabei nicht, diese an Ihr Ich anzupassen!


3. Über die Oberfläche hinwegsehen

Und jetzt die Wende: Ja, unsere Mittelschullehrer hatten Recht. Es liegt ein intrinsischer Wert darin, etwas von Qualität zu schaffen, das von anderen bemerkt und geschätzt wird. Das Gegenteil dieser Aussage ist bei Thames Town voll zur Geltung gekommen: Es ist ein Sammelsurium schlecht gebauter britischer Gebäude, durch deren Mitte eine trüben Brühe, die chinesische Themse, fließt. Steht es mir zu Thames Town mit aller Schärfe zu kritisieren? Jeden Tag besuchen Hunderte frisch getraute Ehepaare aus Shanghai die Stadt an der falschen Themse, um sich mit ebenso gefaktem Lächeln vor der gemeindelosen Kirche, dem falschen Gardeoffizier der nicht existenten Königin oder Statuen berühmter historischer Ikonen der britischen Geschichte wie Harry Potter ablichten zu lassen. Cheese!

Letztendlich hat Thames Town sein Ziel erreicht. Einheimische TouristInnen pilgern in Scharen an diesen Ort überbordender Geschmacklosigkeit. Trotz aller unübersehbarer Mängel ist Thames Town ein Erfolg und erinnert mich daran, dass selbst minderwertigste Produkte bei oberflächlich betrachtet halbwegs passabler Ausführung und unter Beachtung des Verbraucherbewusstseins Verkaufsschlager sein können.

Lassen Sie uns das auf Leaderhip umsetzen. Es ist gut möglich, dass Sie als Führungskraft mit einer Kürzung Ihres Budgets konfrontiert sind, dass Sie also weniger Möglichkeiten haben sich und Ihre Talente voll zu entfalten. Und doch, es gibt Vieles, das sie auch mit einem knappen Budget machen können, das Freude und einen posiviten Vibe erzeugt und ihre Belegschaft zu guter Leistung motivieren kann. Wie wäre es mit handgeschriebenen Dankeskarten, mit einem Pizza-Freitag oder einer virtuellen Tasse Kaffee?

Trotz des grellen Auftritts, trotz der schäbigen Umsetzung und des Fehlens authentischer britischer Produkte, habe auch ich es schlussendlich während meiner Zeit in China genossen, die Wochenenden mit meinen Freunden in Thames Town zu verbringen, ein Eis bei Baskin-Robbins zu schlecken oder mit einer reizenden älteren Frau hinter dem Tresen von Familymart mein Chinesisch zu verbessern. Mein finaler Ratschlag für Führungskräfte ist der folgende: Schauen Sie über die Oberfläche hinweg, vielleicht finden Sie einen Diamanten unter der rußigen Oberfläche versteckt.