Was ich mit Anfang 20 über Erfolg hätte wissen sollen/wollen. Sabine Gromer schreibt an ihr jüngeres Ich einen Brief über Erfolg, der als Fata Morgana begonnen, sich jedoch zum Boomerang gewandelt hat.
Wir wollen ihn, wir laufen ihm hinterher, wir beneiden andere darum, wir glauben für kurze Momente, ihn erreicht zu haben, und schon rückt er wieder in weite Ferne. Erfolg. Kurz, prägnant, jedoch schwammig und irgendwie wie eine Fata Morgana.
ERFOLG
Der Duden spricht von ihm als positives Ergebnis einer Bemühung und das Eintreten einer beabsichtigten, erstrebten Wirkung. Das Gabler Wirtschaftslexikon defniert ihn als „das i.d.R. in monetären Größen erfasste bzw. ausgedrückte Ergebnis des Wirtschaftens“. Wenn ich „Was ist Erfolg?“ auf Englisch google, werden mir 3,81 Milliarden Ergebnisse ausgespuckt.
Wir wollen ihn, wir laufen ihm hinterher, wir beneiden andere darum, wir glauben für kurze Momente, ihn erreicht zu haben, und schon rückt er wieder in weite Ferne. Erfolg. Das Licht am Ende des Horizonts. Kommen wir dort an, fühlen wir uns glücklich. Für einen Moment gibt er uns alles, Freude, ein Hochgefühl. Jedoch nur für kurze Zeit. Denn kaum haben wir ihn erreicht, rückt der Horizont in weitere Ferne. Gleich einer Fata Morgana. Wir scheinen nie anzukommen. Wenn ich erst dies erreiche, wenn ich erst auf dieser Position bin, wenn ich erst so viel verdiene, dann bin ich glücklich. Doch kommen wir dort an, erreichen wir all diese Dinge, stellen wir neue Bedingungen.
Von dieser „Wenn/dann“-Formel profitieren ganze Systeme, und auch für meine Coaching-Klient:innen ist diese „Wenn/dann“-Programmierung immer wieder ein Thema. Aus meiner Sicht ist sie gefährlich, trügerisch und schadet uns nur.
Vor zwanzig Jahren noch war ich selbst in ihr gefangen, angetrieben von extrinsischen Motivationsfaktoren, einem äußeren Mechanismus, weit entfernt von einem inneren Kompass. Erfolg war für mich ein dickes Gehaltskonto, die Anzahl der mir unterstellten Mitarbeiter:innen, mein Flugstatus und materielle Dinge, die ich angehäuft hatte.
Diesem jungen Ich und all jenen, die am Beginn
ihrer Karriere im Außen nach Anerkennung streben, möchte ich an dieser Stelle gerne einen offenen Brief schreiben. Es ist ein Brief, wie ich ihn mir am Beginn meiner Karriere gewünscht hätte.
Liebes jüngeres Ich, liebe:r Leser:in,
ich schreibe Dir, weil ich möchte, dass Du verstehst, dass Du nicht leisten musst, um eine Daseinsberechtigung zu haben. Du musst nicht funktionieren, um geliebt zu werden. Du musst vor allem nicht an ein System angepasst sein, das dich nicht nährt. Heute weiß ich, dass alles möglich ist, wenn du es nur von innen herauswachsen lässt. Der Sinn des Lebens ist zu leben. Einfach nur zu sein. Freude zu spüren. Beziehungen zu leben, sie zu genießen. Atmen. Wenn du Erfolg vom Außen abhängig machst, von deinem Konto, der nächsten Beförderung, Anerkennung, Status, wirst du zu einer Getriebenen werden. Erfolg muss so nicht sein. Erfolg kann auch ein Boomerang sein, dem du nicht hinterherjagen musst, der von allein zu dir kommt. Ganz ohne Hecheln und Abmühen. Ich würde dir gerne fünf Leitsätze auf deinem Weg zum Erfolg mitgeben.
- Sei gelassen und mutig. Lerne, Dinge hinzunehmen, die du nicht ändern kannst und finde stattdessen den Mut, Dinge zu ändern, die du ändern kannst.
- Vergleiche nicht. Hör auf, dich mit anderen zu vergleichen, dich an deren Erfolg zu messen. Erfolg ist kein Seitwärtsschauen, kein Sichmessen an Konkurrent:innen und Vorgesetzten. Das frisst deine Energie unnötig auf. Lerne, dein eigener Maßstab zu sein.
- Lass los. Dazu möchte ich dir eine Parabel erzählen. „Ein junger und ein alter Mönch kommen an einen Fluss. Dort steht eine junge Frau, die sich davor fürchtet, den Fluss zu durchqueren. Ohne zu zögern, trägt der alte Mönch sie zum anderen Ufer. Die beiden Mönche setzen ihre Reise fort. Stunden später konfrontiert der junge Mönch den alten: ‚Du weißt doch, dass es uns als Mönche nicht erlaubt ist, Frauen anzufassen! Wie konntest du nur?‘ Der alte Mönch antwortet: ‚Ich habe die Frau vor Stunden am Ufer des Flusses abgesetzt – warum trägst du sie immer noch mit dir herum?'“ Es ist ungemein wichtig, Missmut und Wut nicht auf Dauer mit sich herumzutragen und Frustrationen gehen zu lassen.
- Innen vor außen. Wir lassen uns immer wieder zu sehr von externen Motivationsfaktoren leiten. Wir machen Erfolg zu sehr vom Außen abhängig. Aber das Außen ist keine Referenz für Erfolg. Anstatt den Fokus aufs Ausmerzen von vermeintlichen Schwächen zu lenken, ist es sinnvoller, seine Stärken gezielt einzusetzen. Tipp: Das CliftonStrenghts Assessment hilft uns dabei, unsere Stärken zu erkennen.
- Kreiere Visionen. Sei offen für alles, was kommt, schaff dir aber trotzdem Visionen. Visualisiere mithilfe von Visionboards, in welcher Qualität du leben und arbeiten möchtest. Ein Visionboard ist ein unglaublich starkes Erfolgstool, um seine Ziele zu erreichen.
Meine Karriere hat erst richtig begonnen, als ich Erfolg nicht länger als meinen Lebensauftrag gesehen habe. Mein Auftrag ist es, zu leben, einfach nur zu sein. Mein Auftrag ist es, mein Leben, meine Lebendigkeit und Gesundheit zu leben und diesen Weg möglichst freudvoll zu gestalten. Erkennst auch du dies, wird der Erfolg von alleine zu dir kommen. An diesem Punkt wird aus der Fata Morgana ein Boomerang. Lass ihn los, und er kommt zu dir.